Bischof als Mutmacher
Tobias Bilz auf Bischofsvisitation unter anderem im Evangelischen Schulzentrum in GaußigDie Zeremonie spart nicht an optischer Opulenz. Beim Einzug zum wöchentlichen Gottesdienst in die 150 Jahre alte neuromanische Martinskirche im ostsächsischen Gaußig passieren die Grundschüler an diesem Dienstagmorgen ein Spalier von Altardienern, gekleidet in weiße, gegürtete Mantelalben, in den Händen dünne Kerzen. Vor Beginn hat Pfarrer Thomas Schädlich die vier Mädchen und vier Jungen hinten am Gitter um einen Marienaltar niederknien lassen, sie gesegnet und jedem ein kleines Kreuz umgehängt. Nun schreitet er mit ihnen die sieben von Kerzen gesäumten Stufen zum Altar hinauf, macht einen Kniefall. Über dem schwarzen Talar trägt er die in der Oberlausitz gebräuchliche ärmellose weiße Schürzenalbe.
So habe er das Zeremoniell übernommen, als er 2018 hierher kam, erzählt der 43-Jährige hinterher. Als Gemeindepfarrer ist er auch zuständig für das evangelische Schulzentrum mit Grundschule, Hort, Mittelschule und Gymnasium. 1991 war die Polytechnische Oberschule die erste, die der Landkreis Bautzen wegen Schülermangels schließen wollte. Das verhinderte der evangelische Schulverein, der sie 1998 übernahm, erzählt Kerstin Otto von der Geschäftsstelle.
Attraktiv sei das Zentrum heute schon deswegen, weil ein Kind von der Einschulung bis zum Abitur hier lernen könne, sagt Kerstin Otto. Die Nachfrage sei hoch, sagt Pfarrer Schädlich. Fast 700 Schüler strömen morgens aus allen Orten der Umgebung herbei. Etwa hundert mehr als das Dorf Einwohner hat.
Inzwischen sei Gaußig Zuzugsgebiet, sagt der Pfarrer. »Hier eine Wohnung zu kriegen, ist schwer. Das liegt an der Schule.« Lehrermangel sei hier kein ernsthaftes Problem, sagt Kerstin Otto. Stundenausfall gebe es nicht. Werde ein Lehrer krank, organisiere man Vertretung. Auch das spricht sich als Besonderheit herum.
Was Lernen hier zu etwas Besonderem mache, fragt Landesbischof Tobias Bilz auf seiner Generalvisitation im Kirchenbezirk Bautzen-Kamenz Schülerinnen und Schüler einer 9. Klasse. »Die Extras«, antwortet ein Junge. »Die Kirche. Und besondere Fächer wie CWE – Christliche Werteerziehung.«
Maria Kuntsche gehört zu denen, die ihn erteilen. Sie ist eine der drei Schulsozialarbeiterinnen, finanziert aus Fördermitteln, die der Verein Jahr für Jahr neu beantragen muss. Rechtsanspruch darauf haben freie Träger nicht. Staatliche Schulen brauchten Sozialarbeiter dringender, argumentiere der Freistaat, wirft Gabriele Mendt ein, Bildungsreferentin der Landeskirche.
Dabei sei der Problemdruck unter den Schülern hier wohl nur unwesentlich geringer, meint Maria Kuntsche. Wie groß das Bedürfnis sei, sie im Erzählen loszuwerden, spüre sie im Schulclub. »Etwa die Hälfte der Kinder lebt in Trennungsfamilien«, sagt Sozialarbeiterin Anne Friedland. Alkohol, Zigaretten, Essstörungen, Drogen seien Themen auch für sie. »Vor allem der hohe Medienkonsum«, ergänzt Sozialarbeiterin Jana Seihn. Smartphones bleiben in der Schule im Ranzen.
Der Gottesdienst gehört zum Profil, ist daher Teil der Stundentafel, wenngleich nicht Pflicht. Von den Mittelschülern nehme etwa ein Drittel teil, sagt Pfarrer Schädlich. Neben liturgischen Formen als Grundlage sei vor allem eine lebendige Beziehung nötig, sagt Tobias Bilz. Manchmal wünsche er sich in Gaußig schon etwas mehr Priestertum aller Getauften, räumt Superintendent Tilmann Popp ein. »Traditionen sind aber wertvoll.«
Dass Schulgottesdienste wie hier unter die Haut gehen, gibt auch der Landesbischof zu. »Da entsteht ein religiöser Grundsound. Aber so etwas werden sie in ihrem späteren Leben nicht erleben. Das ist schon exotisch. Eine Form von heiler Welt, als die Welt noch fromm war.« Aber sei das auch nachhaltig? Gerade zwischen 25 und 30 träten viele aus der Kirche aus, sagt Tobias Bilz im Gespräch mit den Neuntklässlern. »Wenn wir sie bei uns behalten wollen, müssen wir ihnen die Möglichkeit geben, ihren Glauben auszuprobieren. Das passiert in Jugendgruppen.«
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